Elena hat eine interessante Lebensgeschichte. Bis zu ihrem 17. Lebensjahr lebte sie in Usbekistan, von 17 bis 30 in Tula, Russland und seit 10 Jahren in Prag.


Erzählen Sie mir bitte von Ihrem Projekt. Warum ist die Teilnahme an diesem Projekt Ihrer Meinung nach so wichtig?

Das ist die Initiative Hlavák. Wir sind die erste Anlaufstelle für neu angekommene Menschen in Tschechien. Es kommt häufig vor, dass die Menschen noch 4-5 Tage unterwegs sind, weil sie Umwege aus den besetzten Gebieten machen. Nach einer solchen Reise verstehen viele nichts mehr und haben sogar Schwierigkeiten, eine Fahrkarte zu kaufen. Viele brauchen mindestens eine Nacht, um sich zu erholen und wieder rational denken zu können. Und natürlich ist die Sprachbarriere ein großes Problem.

Was ist das Ziel des Projekts und was ist Ihr persönliches Ziel?

Das Ziel des Projekts ist es, den Neuankömmlingen erste Hilfe zu leisten, indem wir ihnen bei der Auswahl der besten und günstigsten Routen helfen und ihnen Unterkünfte wie Herbergen, Hostels, Hotels und andere empfehlen. Mein persönliches Ziel ist es, meinen Kopf zu beschäftigen, etwas Nützliches zu tun, um mich zumindest ein wenig von den schrecklichen Nachrichten abzulenken.

Haben Sie bereits Erfahrung mit ehrenamtlicher Arbeit?

Nein, das ist meine erste Erfahrung. Früher dachte ich, dass ich die Situation nicht beeinflussen könnte, aber als der Krieg begann, war keine Zeit zum Nachdenken, es musste etwas getan werden.

Was motiviert Sie?

Das Verständnis, dass ich etwas Nützliches tue. Das ist meine Art des Protests gegen das, was Russland in der Ukraine anrichtet.

Auf welche Schwierigkeiten stoßen Sie und wie lösen Sie diese?

Ich habe oft mit betrunkenen Männern zu tun, die regelmäßig ihre Sachen verlieren, Handys, Dokumente. Meistens werden sie gestohlen, während sie betrunken im Park schlafen. Sie kommen regelmäßig mit verschiedenen Fragen zu uns. Das ist sehr demotivierend, denn solange sie nicht aufhören zu trinken, kann man ihnen nicht helfen. Ich für meinen Teil habe beschlossen, zu tun, was ich kann, ohne mich psychologisch in ihre Probleme einzumischen, denn sie werden mir sowieso nicht zuhören.

Wie gehen Sie mit der psychischen Belastung um?

Ich kaufe mir regelmäßig Tickets irgendwo hin und fahre weg, um meinen Kopf frei zu bekommen. Ich weiß schon genau, wann dieser Zustand eintritt, und dann plane ich einfach eine Reise, sei es für zwei Tage oder eine Woche.

Was ist Ihnen in diesen Monaten der Freiwilligenarbeit am meisten in Erinnerung geblieben?

Die denkwürdigsten Momente waren am Anfang. Zum Beispiel eine Rentnerin aus Mariupol, die von ihrer ehemaligen Schwiegertochter, die damals in München lebte, zur Ausreise gezwungen wurde. Sie lebte seit 10 Jahren nicht mehr mit ihrem Sohn zusammen, nannte sie aber immer noch "Mutter". Sie reiste nur mit einem Stapel Fotos aus. Ihr Sohn ist auf eine Mine getreten und vor ihren Augen explodiert. Eine Frau aus Kiew schaute mir in die Augen und sagte immer wieder: "Bei uns war alles gut, wir haben wunderbar gelebt. Wir wollen keinen Janik (Anm. d. Übers.: abwertende Form für Wiktor Janukowytsch). Wir haben zwei Maidans überlebt und wir werden weiterhin standhaft bleiben". Rentnerinnen aus Charkiw kamen, als es noch Freikarten gab. Sie kamen in Bestform, hübsch gekleidet und geschminkt: "Wir dachten, wir haben vielleicht keine Chance mehr. Wir würden sehr gerne an die Côte d'Azur fahren." Ich fragte genauer nach, wohin genau, denn die Côte d'Azur ist lang. Sie sagten, das sei ihnen egal, ich schlug Menton vor und ging zum Informationsschalter, um ihren Reiseplan mit 6 oder 7 Umstiegen ausdrucken zu lassen. Am 8. März 2022 kam eine Frau aus Charkiw mit zwei Katzen, die nach 4 oder 5 Tagen Reise völlig verstört waren. Sie wartete auf einen Zug nach Holland und fragte immer wieder, ob es den Katzen weh tun würde, wenn sie für die Dokumente gechippt würden. Ich habe ihr fünfmal gesagt, dass es nicht weh tut, da wir unsere Katze selbst gechippt haben und sie es nicht einmal bemerkt hat.

Sind Sie bei Ihrer Arbeit mit Aggression konfrontiert worden?

Glücklicherweise nicht mit ausgeprägter Aggression. Manchmal kommen jedoch Tschechen oder Slowaken zu uns und fragen, warum wir den Ukrainern helfen und ihnen nicht.

Gab es einen Moment, in dem Sie alles aufgeben wollten? Wie haben Sie das überwunden?

Es gab Momente, in denen wir entweder am Bahnhof geschlossen wurden oder an einen anderen Ort verlegt wurden oder in irgendeiner Art und Weise neu organisiert wurden. Jedes Mal mussten wir uns an die neue Realität gewöhnen. Das Einzige, was mich aufrecht erhalten hat, war der Gedanke, dass den Menschen immer noch geholfen werden muss.

Werden Sie sich auch nach dem Krieg in verschiedenen Freiwilligeninitiativen engagieren? Wenn ja, in welchen Bereichen?

Ich denke, ich werde weiterhin etwas tun. Und ich denke, dass meine Fähigkeiten im Bereich der sozialen Unterstützung nützlich sein könnten, wie zum Beispiel Übersetzungen in verschiedenen kommunalen Einrichtungen, Hilfe bei der Einreichung von Dokumenten und Ähnliches.

Was wünschen Sie anderen Freiwilligen und Aktivisten?

Achten Sie auf Ihren Zustand, damit Sie wissen, wann Sie eine Pause einlegen und sich erholen müssen. Es ist immer noch ein Marathon, kein Sprint, und Erschöpfung macht alles nur noch schlimmer.

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